Re: 04-07

Es waren späte Tore, aber nur allzu gerechte. Nicht, weil ich die Deutschen nicht mag, sondern weil Italien gestern fantastisch spielte. Schon in den regulären 90 Minuten war das eine mehr als reife Leistung, nicht nur weil Italien die meiste Zeit feldüberlegen war und mehr Ballbesitz hatte. Aber auch deshalb. Denn wer hätte erwartet, dass Italien in Deutschlands Heimfestung Dortmund von Anfang an die Initiative ergreifen würde? Deutschland war davon sichtlich überrascht, vor allem vom frühen und forschen Attackieren der Italiener, und hatte Mühe, ins Spiel zu finden bzw. die eigene Spielanlage neu zu definieren. Aber auch in dieser Situation stellten die Deutschen ihre Hartnäckigkeit unter Beweis, nahmen die Herausforderung an und blieben im Gegenzug stets gefährlich.

Das war wie gesagt, bereits 90 Minuten lang Klasse und spannend anzusehen, auch wenn keine Tore fielen; aber die fehlten gar nicht einmal so. Das eigentliche Spiel entwickelte sich aber erst in der Verlängerung, da die in der Vergangenheit elfmetergeschädigten Italiener ganz offensichtlich ein Elferschießen gegen die deutschen Penaltyspezialisten unter allen Umständen vermeiden wollten. Dabei blieb Italien grundsätzlich bei seinem Spiel, nur wurde dies nun mit aller Konsequenz praktiziert. Der Grundstein wurde in der Defensive gesetzt. Die Souveränität, mit der die italienische Verteidigung die deutschen Angriffe abfing, das Stellungsspiel sowohl am Mann wie auch im Raum, die immense Coolness, mit der bei Balleroberung auch in Bedrängnis die intelligente Lösung im Spielaufbau nach vorne gesucht und dabei der Rhythmus je nach Bedarf gewechselt wurde (einmal lange Pässe direkt zu den Angreifern, einmal Kurzpassspiel mit einmal Berühren, einmal bewusstes Einschläfern einer Situation mit Passes in die Breite), das war die ganz hohe Schule. Es ist kein Geheimnis, dass Italiens Spiel traditionellerweise auf der Defensive aufbaut, aber den Italienern gestern beim Kreativverteidigen zuzusehen, das war ein Hochgenuss - formidabel, weltmeisterlich, besser geht's kaum. Es gab gerade zwei, drei Situationen, in denen die Deutschen einen Weg durch die italienischen Abwehr fanden und den Ball aufs Tor brachten. Und dort stand dann immer noch der unüberwindbar wirkende Buffon, dem es auch in extremis nur ein leises Kopfschütteln in Richtung seiner Mitspieler kostet, wenn sein Eingreifen überhaupt gefragt ist.

Bei den Stangen- und Lattenschüssen der Italiener war noch Pech dabei, aber am Ende war es kein Zufall, dass schließlich ein Abwehrspieler in diesem Spiel für die Entscheidung sorgte. Und wieder war es der offensive Linksverteidiger Fabio Grosso, der schon gegen Australien den Elfer in der Schlussminute herausgeholt hatte, der sich am Ende der Verlängerung am gegnerischen Strafraum herumtrieb und mit einem effe(k)tvollen Zirkelschuss zeigte, dass italienische Verteidiger weit mehr als nur Zerstörer sind. Denn Italien spielt nicht einfach defensiv oder offensiv sondern in allen Mannschaftsteilen vor allem kreativ. Del Pieros Kontertor zum 2:0 war nur noch Draufgabe, Deutschland gab in dieser Last-minute-Situation verständlicherweise die Verteidigung auf, wie eine Eishockeymannschaft, die zum Schluss den Tormann herausnimmt.

Über Deutschland habe ich jetzt fast nichts gesagt. Sie waren ein bemühter, beherzter Gegner, der sich nie unterkriegen lassen wollte, Italien erst zu einer Extraleistung nötigte, aber schließlich die Grenzen aufgezeigt bekam. Deutschland hat sich das Semifinale redlich verdient, keine Frage, aber mehr wäre zuviel gewesen. Italiens Trainer Marcello Lippi hatte mit seinem Auftrag, selbst die Impulse im Spiel zu setzen, die richtige Strategie gefunden, um die Deutschen zu knacken. Aber es braucht Spieler von solch technischer und taktischer Klasse, um diesen Auftrag auch umsetzen zu können. Am Ende bestimmte eine exzellente Performance Italiens das niveauvollste Spiel des Turniers.

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